Von 1998 bis 2006 war ich Autor beim Harenberg-Jahrbuch Aktuell, und zwar für die Fachgebiete Entsorgung, Klima, Natur und Umwelt. Auch in meinen beiden Umwelt-#Lexika spielten die Themen Entsorgung und Recycling eine große Rolle. Für den Harenberg Verlag habe ich damals z. B. den Streit um die Einführung des Dosenpfands in den Jahren 2002 bis 2006 begleitet und jährlich zusammengefasst. Lesen Sie die unglaubliche Geschichte hier nach!
Dosenpfand 2002/03
[Auszug aus Harenberg Aktuell 2003]
Pflichtpfand auf Einwegverpackungen für bestimmte Getränke (z.B. Bier- und Coladosen), das beim Kauf erhoben und bei Rückgabe der Verpackung zurückerstattet wird. Siehe auch *Verpackungen
Nach sechsjährigem Hin und Her wurde zum 1.1.2003 in Deutschland ein Pflichtpfand von – je nach Größe – 25 bzw. 50 Ct auf Einwegverpackungen von Bier, Cola, Limonade und Mineralwasser eingeführt. Gesetzliche Grundlage ist die von der konservativ-liberalen Bundesregierung 1991 beschlossene Verpackungsverordnung (*Verpackungen). Sie bestimmt, dass ein D. erhoben wird, wenn der Mehrweg-Anteil an den Getränkeverpackungen (Mehrwegquote) anhaltend unter 72% sinkt. 1997 sank die Mehrwegquote erstmals unter die Marke und sackte wegen eines Preiskriegs im Einzelhandel bis 2002 immer weiter ab.
Klagewelle: Einige betroffene Unternehmen des Einzelhandels, der Getränke- und Dosenindustrie versuchten 2002 und 2003, die Einführung des D. gerichtlich aufzuhalten. Ihre Klagen und Einsprüche scheiterten jedoch im Juli 2002 vor dem Bundesverwaltungsgericht, im Dezember 2002 vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden, dem Oberverwaltungsgericht Berlin und dem Bundesverfassungsgericht, im Januar 2003 abermals vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Rücknahmesystem: Durch den Widerstand einiger Einzelhandelsketten verzögerte sich der Aufbau eines bundesweit geregelten Rücknahmesystems. Deshalb löste der Handel das D. zunächst nur jeweils dort ein, wo die Dose gekauft worden war. Zu diesem Zweck wurden beim Kauf besondere Pfandmarken oder Quittungen ausgegeben. Im Januar 2003 sagten Vertreter der Wirtschaft zu, bis zum 1.10.2003 ein gemeinsames System einzurichten, das die Rückgabe der Dosen an allen Verkaufsstellen ermöglichen soll. Im Juni 2003 zog der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels diese Zusage wieder zurück, weil drei Handelsketten lieber überhaupt keine Dosen mehr verkaufen wollten. Das Bundesumweltministerium einigte sich mit zwei anderen Ketten auf eine Alternativlösung, die etwa 100.000 Verkaufsstellen abdecken soll, vor allem Kioske und Tankstellen. Mehrere Discounter arbeiteten an eigenen Lösungen.
Folgen: Anfang 2003 fiel der Absatz von Dosenbier sowie Cola und Limonade in Dosen stark ab, überwiegend, weil einige Handelsketten die bepfandeten Dosen komplett aus dem Sortiment nahmen. Im Januar stieg die Mehrwegquote bei Bier von 75 auf 91%, bei Cola/Limonade von 51 auf 76%, bei Mineralwasser von 68 auf 79%. Davon profitierten vor allem mittelständische Mineralbrunnen und Brauereien.
Dosenpfand 2003/04
[Auszug aus Harenberg Aktuell 2004]
Der Streit um das zum 1.1.2003 in Deutschland eingeführte Pflichtpfand von – je nach Größe – 25 bzw. 50 Ct auf Einwegverpackungen von Bier, Cola, Limonade und Mineralwasser ging 2003 und 2004 weiter. Gesetzliche Grundlage ist die von der konservativ-liberalen Bundesregierung 1991 beschlossene Verpackungsverordnung. Sie bestimmt, dass ein D. erhoben wird, wenn der Mehrweg-Anteil an den Getränkeverpackungen (Mehrwegquote) anhaltend unter 72% sinkt. 1997 sank die Mehrwegquote erstmals unter die Marke und sackte bis 2002 auf 50% ab. Bis Ende 2003 stieg sie wieder auf über 60%.
Rücknahmesysteme: Unter Bruch einer Vereinbarung mit der Bundesregierung vom Dezember 2002 weigerte sich der Hauptverband der Deutschen Einzelhandels Mitte 2003, ein bundesweit einheitliches Rücknahmesystem für bepfandete Einwegverpackungen aufzubauen. Die D.-Gegner im Handel (vor allem Metro, REWE und Tengelmann) hofften darauf, dass die EU-Kommission deshalb das D. stoppen würde. Vom 1. Oktober 2003 an musste jeder Händler, der bepfandete Dosen und Flaschen verkauft, auch sämtliche Dosen und Flaschen dieser Art zurücknehmen. Mehrere Unternehmen bauten bundesweite Rücknahmesysteme auf, die jeweils nur Teile des Handels abdecken (Kioske, Tankstellen, Getränkemärkte, Handelskette Spar u.a.), aber miteinander kooperieren. Zwei dieser Systeme schlossen sich im April 2004 zusammen.
Discounter: Die Discountketten Aldi, Lidl und Plus sowie die REWE-Gruppe unterliefen die D.-Regelung, indem sie die bepfandeten Einheitsdosen und ‑flaschen aus dem Sortiment nahmen und durch PET-Flaschen mit Sonderformaten ersetzten (Insellösungen). Deshalb mussten sie weiterhin nur die eigenen Flaschen zurücknehmen.
EU-Kommission: Binnenmarktskommissar Frits Bolkestein drängte bereits im Juli 2003 auf eine Überprüfung der deutschen D.-Regelung, da er wegen des fehlenden bundesweiten Rücknahmesystems eine Diskriminierung ausländischer Getränkehersteller vermutete. Diese könnten wegen der langen Transportwege keine Mehrwegsysteme anbieten. Nach Verhandlungen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Kommissionspräsident Romano Prodi wurde das Verfahren mehrmals verschoben; Ende Oktober 2003 jedoch leitete Bolkestein ein formelles Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Im April 2004 ging das Verfahren in die zweite Stufe: Bolkestein verlangte Änderungen der D.-Regelung binnen zwei Monaten und drohte mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Bundesumweltminister Jürgen Trittin argumentierte dagegen, dass gerade die von Bolkestein monierten Insellösungen der Discounter überwiegend von Importeuren genutzt würden. Aldi z.B. verkaufte in seinen Sonderflaschen belgisches Bier. Das Oberverwaltungsgericht Berlin wies im April 2004 Eilanträge auf eine Aussetzung des D. zurück, da ein Verstoß gegen EU-Recht nicht erkennbar sei.
Folgen: 75% der Bundesbürger begrüßten laut Umfragen im Oktober 2003 weiterhin das D.; 70% kritisierten aber die Umsetzung der Rücknahme im Handel. Nur eine Minderheit wusste, dass dafür nicht die Bundesregierung, sondern der Handel verantwortlich war. 48% gaben an, selber positive Erfahrungen mit Pfandpflicht und Rücknahme gemacht zu haben. 34% gaben an, wegen des D. weniger Dosen und Einwegflaschen zu kaufen als früher. 46% meinten, Straßen und Plätze seien durch das D. sauberer geworden, 50% sahen das nicht so. Vom Rückgang des Dosenabsatzes waren neben der Dosenindustrie vor allem Anbieter von Billiggetränken betroffen, z.B. Pepsi. Wie viele Arbeitsplätze durch das D. bei großen Dosen- und Getränkeherstellern verloren gegangen und bei kleineren Brauereien, Mineralbrunnen und Getränkehändlern mit Mehrwegsystemen neu entstanden waren, blieb umstritten.
Saft und Wein: Im Februar 2004 wies Trittin darauf hin, dass nach der geltenden Verpackungsverordnung von 1991 bald auch ein Pfand auf Saftkartons und Weinflaschen eingeführt werden müsse. Er appellierte an den Bundesrat, die von ihm blockierte Novellierung der Verpackungsverordnung passieren zu lassen. Nach der Novelle wären Saftkartons und Weinflaschen von der Pflandpflicht befreit. Der Einzelhandel konterte, beim Bier sei die Mehrwegquote wieder über die von der alten Verordnung geforderte Marke gestiegen; deshalb müsse das D. auf Bier alsbald wieder aufgehoben werden.
Siehe auch *Verpackungen
Dosenpfand 2004/05
[Auszug aus Harenberg Aktuell 2005]
Nach dreijährigem Streit einigten sich Bundesregierung und Bundesrat Ende 2004 auf eine neue Verpackungs-Verordnung und damit auf eine Neuregelung des D., die im Mai 2005 in Kraft trat:
- Ab 2005 gilt ein einheitliches D. von 25 Cent für jede umweltschädliche Verkaufsverpackung von Bier, Mineralwasser und Erfrischungsgetränken, unabhängig von der aktuellen Mehrwegquote.
- Ausgenommen bleiben Schlauchbeutel, Getränkekartons und Standbeutel, weil sie als umweltfreundlich gelten, sowie Milch, Wein, Spirituosen und Fruchtsaft.
- 2006 sollen auch die sog. Insellösungen der Discount-Ketten verschwinden: Sie müssen dann alle pfandpflichtigen Verpackungen zurücknehmen und dürfen sich nicht mehr auf die eigenen Sonderformate beschränken. Die Übergangsfrist hatte der Europäische Gerichtshof mit seinem Urteil vom Dezember 2004 durchgesetzt.
Discounter: Nach Schätzungen des Handelsforschungsinstituts GfK behielten die großen Discounter dank ihrer Insellösungen in elf Monaten des Jahres 2004 etwa 100 Mio. € Pfand ein, weil ein Teil ihrer Flaschen nicht zurückgebracht wurde.
Dosenbier: Der Absatz von Dosenbier brach 2003/04 durch das D. in Deutschland fast völlig zusammen. Den Vorteil hatten Brauereien mit Mehrwegflaschen.
Dosenpfand 2005/06
[Auszug aus Harenberg Aktuell 2006]
Zum 1. Mai 2006 traten Änderungen beim D. in Kraft: Die Ausnahmeregel für sog. Insellösungen der Discounter lief aus. Alle Händler müssen seitdem alle Arten von bepfandeten Einwegverpackungen zurücknehmen, die sie selber verkaufen. Wer also z.B. Getränkedosen verkauft, muss alle bepfandeten Getränkedosen zurücknehmen; wer Plastikflaschen verkauft, muss alle bepfandeten Plastikflaschen zurücknehmen. Eine Ausnahme gibt es nur für kleine Geschäfte mit weniger als 200 m². Außerdem wurde die Pfandpflicht auf kohlensäurefreie Erfrischungsgetränke (z.B. Eistee, Alcopops) ausgedehnt. Pfandfrei bleiben Säfte, Wein, Milch, Spirituosen sowie umweltfreundliche Getränkekartons.
Rücknahmesystem: 2006, neun Jahre, nachdem sich die Pfandpflicht erstmals abgezeichnet hatte, war der Einzelhandel in der Lage, ein flächendeckend arbeitendes Rücknahmesystem einzurichten, die Deutsche Pfandsysteme GmbH (DPG). In den meisten Filialen wurden Rücknahmeautomaten aufgestellt. Um die Kosten dafür wieder hereinzuholen, kündigte der Einzelhandel Preiserhöhungen für Einweggetränke von 10 Ct an.
Mehrwegquote: Aldi, Lidl und andere große Handelsketten nahmen zum Mai 2006 alle bepfandeten Getränkedosen aus dem Handel. Schon vor den letzten Änderungen beim D. stieg die Mehrwegquote bei Bier von 70,9 % im Dezember 2002 auf 88,8 % im Jahresdurchschnitt 2005; bei Cola und Limonade von 47 auf 54 %. Bei Mineralwasser sank sie dagegen von 66,6 auf 54 %.