Die Hängebuche im Ravensberger Park zu Bielefeld

Hängebuche im Ravensberger Park zu Bielefeld

Leseprobe zum Buchprojekt Teutoblicke“ : Die schönsten Bäume Ostwestfalens und Lippes und die Landschaften am Teutoburger Wald. Porträts, Betrachtungen, Geschichten.  / Von Jens Jürgen Korff

Sie ist ohne Zweifel der ungewöhnlichste und vielleicht rundlichste Baum in dem rechteckigen Park, der sich östlich der wie eine quaderförmige Burg angelegten Ravensberger Spinnerei und ihres schlanken, kantigen Turms erstreckt.

Doch sie hält sich vornehm ein wenig zurück, drängt sich optisch nicht in den Vordergrund, weil sie nicht so hoch ist wie die stattliche und runzlige Platane vor dem Lichtwerk oder die knorrige Eiche an der Heeper Straße mit ihren wunderlich geschraubten Ästen. Um so mehr geht ihre schopfartige Krone in die Breite. Kommt man von Osten, vom Museum Hülsmann her auf die rechteckige Hauptfläche des Parks, hat man den schönsten Fernblick auf die Hängebuche, wenn man auf dem Weg entlang dem kleinen Lorengleis Richtung Hechelei geht und unter einem Spitzahorn stehen bleibt, in Höhe des Hülsmannschen Gartens. Von hier gesehen türmt sich die Krone der Hängebuche wie ein Berg aus abgerundeten grünen Felsen oder wie ein grüner Wasserfall auf. Ganz oben sitzt das für Hängebuchen typische Krönchen aus kahlen, umgekehrt U-förmig gebogenen Ästen: Das ist die Stelle, an der die Aufwärtsbewegung des Stamms bricht und in die Abwärtsbewegung der Äste übergeht, wie das obere Ende einer Fontäne. Und manchmal sitzt oben drauf noch eine Taube und genießt die Abendsonne.

Kommt man von der Raspi her, wie die alte Fabrik und jetzige Volkshochschule im Volksmund genannt wird, steht sie quer über dem Weg, der am niedrigen Seitenflügel mit dem Ordnungsamt vorbeiführt. Hier lohnt es sich, am ersten Treppenaufgang ganz nah an die Mauer heranzutreten und den Baum von dort zu betrachten. Jetzt sieht sie aus wie die Haarpracht eines Mädchens: rechts über dem Weg das Pony, nach links ausladend der Anfang des Pferdeschwanzes; eine Strähne hat sich dem Haarband entzogen und steht störrisch nach oben ab. Das Pony wird regelmäßig geschnitten, damit es den Passanten nicht ins Gesicht hängt.

Treten Sie ein!

Hängebuchen haben eine Haut. Fast alle Blätter befinden sich in der Außenkontur des Baumes, die etwas scheckig aussieht, weil die Blattunterseiten heller sind als die Blattoberseiten. Es sind gewöhnliche, eiförmige Buchenblätter mit leicht gesägtem Rand. Nach unten, zum Boden hin, laufen die Äste in girlandemartige dünne Zweige aus, an denen die Blätter hängen wie Korallen in einer Korallenkette. In eine Hängebuche tritt man ein: Man schlägt den Vorhang der Zweige auseinander und betritt einen grünen Saal. Rabu, die Hängebuche, lädt Sie zum Verweilen ein.

Im Innern der Kuppel ist es auch an heißen Sommertagen frisch und luftig. Durch die Blätterhaut glitzert grün-golden die Sonne. In dieser heimeligen Atmosphäre traten im Juni 2007 die „Leptophonics“ auf, zwei Bielefelder Saxophonisten. Das ganze interessierte Publikum hatte Platz unter der Hängebuche. Anlass war das 20jährige Jubiläumsfest der Feuerwerker von „FlashArt“, die später am Abend natürlich auch noch eine ihrer genialen Feuershows an den Himmel gezaubert haben. Hoffentlich hatten die Bäume keine Angst dabei.

Der Stamm ist nach Buchenart glattborkig, und nach Menschenart haben sich frühere Besucher dieses Separées im Park mit Schnitzereien verewigt. Wer zur Empathie mit Bäumen fähig ist, empfindet den Schmerz unter den Narben, ehe er versucht, nach Menschenart, die Zeichen zu deuten:

H – WG – RN (in einem Herzen) – LF – RMLM – C. – M.

Schau an: Rainer Müller und seine Frau, die sprichwörtliche Lieschen Müller, waren hier. Außerdem zwei der drei Könige aus dem Morgenland sowie eine komplette Wohngemeinschaft aus Hannover. Lukas und Fabian, zwei Schwule. Et à la fin: René und Natalie, die Liebenden vom Arbre vert.

Ein Kindheitstrauma

Unten, nah am Boden, umringt ein merkwürdig aufgebrochener Wulst den ganzen Stamm. Das ist eine große Narbe aus der Kindheit der Buche, ein Kindheitstrauma: Wurzel und Stammbasis sind der Rest einer gewöhnlichen Buche, die ein Baumzüchter in früher Jugend brutal geköpft hat. Auf den aufgespaltenen Stumpf pfropfte er damals den Zweig einer Hängebuche auf: Das heißt, er steckte den angespitzten Zweig in den Spalt des Stumpfes hinein, und der „Edelreis“ – so belieben sich Baumzüchter auszudrücken – verband sich mit der „Unterlage“ zu einem neuen, „veredelten“ Baum. Viele Zuchtformen der Bäume lassen sich nur auf diese Weise, das sog. Pfropfen, vermehren, da die angezüchteten Eigen­schaften – in diesem Fall die Hängewüchsigkeit der Zweige – bei der geschlechtlichen Vermehrung nicht weitervererbt werden.

Mit gutem Grund: Denn eine Hängebuche wäre in freier Wildbahn, in einem Buchenwald, nicht überlebensfähig. Sie würde von den Nachbarbäumen überragt und „ausgeschattet“; außerdem würden Ziegen, Wisente, Pferde und andere Tiere die herunterhängenden Zweige abfressen. Das dürfte neben den Licht- und Schattenverhältnissen der Grund sein, weshalb Bäume von Natur aus dazu neigen, ihre Blätter erst mehrere Meter über dem Boden zu entfalten. Gegen diesen Drang haben die Züchter der Hängebuche „angezüchtet“. Ihre Zöglinge müssen die Gärtner immer schön alleine im Park stehen lassen und vor Ziegenfraß schützen.

Wenn wir am Stamm weiter nach oben schauen, sehen wir, wie er sich schön verzweigt – etwas stärker als bei gewöhnlichen Buchen üblich. Ganz oben dann der schon erwähnte Umbruch der Aufwärts- in die Abwärtsbewegung der Äste. Solche Umbruchstellen, an denen die kahlen Hauptäste nach außen treten, finden wir auch weiter außen und unten an den Ästen.

OrtBielefeld: Ravensberger Park (an der Heeper Straße), vor dem Ordnungsamt
BaumartHänge-Buche (Trauer-Buche), Fagus silvatica f. pendula, eine Zuchtform der Gewöhnlichen Buche, Fagus silvatica
GepflanztUm 1910
Stammumfang?
Höhe?
BesitzerStadt Bielefeld, vertreten durch den Umweltbetrieb der Stadt Bielefeld

Ein Gedanke zu „Die Hängebuche im Ravensberger Park zu Bielefeld“

  1. Bei Spaziergängen und der Begegnung mit außergewöhnlichen Bäumen fällt immer wieder der Satz: „Welch ein toller Baum!“

    Mehr über die Bäume zu erfahren und auf Spaziergängen Freunden erzählen zu können wäre für mich als Bielefelder die Motivation dein Buch zur Hand nehmen zu können!

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